Das gibt’s nicht online

Eine Delegationsreise wie früher: Eine ganze Woche auf Achse mit echten Menschen an echten Orten. Seit nun fast anderthalb Jahren gab es das dank Corona für uns Dolmetscher eigentlich nicht mehr. Umso größer war nun die Freude, dass dieser Auftrag tatsächlich zustande kam, obwohl die Delegierten aus unterschiedlichen europäischen Ländern nach Deutschland anreisen mussten. Nun gut, da war dann kurzfristig noch der Bahnstreik, aber selbst Fahrkarten und Hotels umbuchen kann ein Vergnügen sein, weil es sich so… ja… nah am Leben anfühlt!

Manche wundern sich jetzt vielleicht über diesen aus ihrer Sicht völlig übertriebenen Enthusiasmus. Aber es gibt viele Elemente an diesem Einsatz, die mit dem Kern unseres Berufs zu tun haben. Und die wir seit dem Beginn von Corona bitterlich entbehren mussten.

Ortswechsel

Einen Koffer packen, zum Bahnhof fahren, in einen Zug steigen, in dem noch andere Menschen auf Reisen sind. Irgendwo ankommen, wo nicht zu Hause ist, nicht das eigene Büro. Wo es anders riecht, schmeckt und sich anfühlt. Großartig!

Persönliche Begegnungen

Menschen bestehen aus mehr als Kopf und Schultern. Das vergisst man beim vielen Zoomen manchmal. Und dann stellt man bei einem persönlichen Treffen fest, dass die Person überraschend groß oder klein ist und in Wirklichkeit so ganz anders wirkt als auf dem Bildschirm. Auch werden Wege gemeinsam zurückgelegt, auf denen Gespräche entstehen, die nichts mit dem eigentlichen Arbeitsanlass zu tun haben. Wo kommt man her, was beschäftigt einen gerade und vor allem – wie geht es einem eigentlich?

Smalltalk

Überhaupt: Sich austauschen über soeben gemeinsam Erlebtes und Gehörtes. Erwartungen über den nächsten Termin abgleichen. Das geschieht bei einer gemeinsamen Dienstreise ganz automatisch. Ganz anders bei einem Online-Event: Je nach Format tritt man einem Meeting bei und schaltet sich erstmal stumm und wird am Ende ohne große Verabschiedung mehr oder weniger „ausgeschaltet“. Zeit für Smalltalk gibt es nicht. So kann auch kein Kennenlernen stattfinden, keine vertraute Atmosphäre entstehen und auch keine Verbindlichkeit.

Kommunikation

Es klingt banal, aber von Angesicht zu Angesicht ist der Ton einfach besser. Wie oft sitzen wir ansonsten in Online-Calls, in denen die Hälfte der Teilnehmenden entweder kein Headset oder kein stabiles Internet, dafür aber eine sehr laute Waschmaschine oder eine medieninteressierte Katze hat. Gleichzeitig komprimiert die jeweilige Plattform die Frequenzen. Wenn wir dann beim Dolmetschen selbst auch noch gleichzeitig mit den Originalrednern sprechen, überdecken wir teilweise die Rednerfrequenz und das Verständnis wird noch viel schwerer. Sprich, was wir für eine gute Verdolmetschung brauchen ist extra-guter Ton!

Sichtbarkeit

Beim Verdolmetschen virtueller Konferenzen sind wir als Menschen oft nicht sichtbar. Neulich kommentierte ein Teilnehmer sogar, die „Übersetzerfunktion“ von Zoom sei ja ganz fabelhaft. Bei so einer Reise sind wir Teil der Delegation. Wir und unsere Leistung werden wahrgenommen, und sehr, sehr oft wird uns sogar persönlich gedankt – womit wir sicherlich privilegiert sind gegenüber vielen anderen Menschen, denen nur sehr selten jemand dankt. Aber genau das ist die Motivation, seine Arbeit immer und immer wieder so gut zu machen wie möglich.

Unvorhergesehenes

Unvorgesehenes online heißt meistens so etwas wie: „Oh, ich glaube, wir haben Herrn XY verloren…“ In diesem Falle aber bedeutete das: Ein Termin wurde auf später verschoben und so gab es Zeit für eine spontane Fahrradtour hinter dem Deich. Und zwar für alle, egal wie geeignet das Schuhwerk oder die Garderobe waren oder wie gut das aktuelle Fitness-Level. Die Sonne schien, der Wind blies durch’s Haar, die Haut wurde salzig, und alle waren glücklich – das gibt’s nicht online!

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