Anlaufstelle in Sachen Technik

Karin Walker, Konferenzdolmetscherin und Leiterin des Technikreferats der AIIC: „Unser Berufsbild wird sich ändern. Wir müssen Multi-Service-Provider werden.“

Große Krisen bedeuten große Chancen. Die Corona-Pandemie hat mit Social Distancing und inzwischen monatelangem Brachliegen der Veranstaltungsindustrie auch das Berufsbild des Konferenzdolmetschens auf den Kopf gestellt. „Nur“ Dolmetschen reicht nicht mehr aus. Vielmehr zählt gute Beratung – zu Event-Formaten, Online- und Videokonferenz-Plattformen und Konferenztechnik.

Karin Walker, Mitglied von Konferenzdolmetscher Deutschland in Nordrhein-Westfalen, hat im September die Leitung des Technikreferats des Internationalen Konferenzdolmetscherverbandes AIIC übernommen, zusammen mit unserem Münchner Kollegen Alexander Gansmeier, den wir hier vor einiger Zeit porträtiert haben. Wir haben mit ihr über die „schöne neue Welt“ des Dolmetschens gesprochen.

Nach einem guten halben Jahr Corona – ist das Glas für Konferenzdolmetscher:innen halb leer oder halb voll?

KW: Für mich ist es halb voll. Ohne in die sprichwörtliche Kristallkugel blicken zu können, bin ich mir doch ziemlich sicher, dass es jetzt im Herbst besser aussieht, als wir noch im März oder April dachten. Schon im Sommer fanden erste, kleinere mehrsprachige Meetings statt. So manche internationale Auftraggeber haben verstärkt mit ihren im Home Office arbeitenden Mitarbeiter:innen kommuniziert – und dabei gemerkt: es geht ja doch Vieles virtuell, wenn auch unter erschwerten Bedingungen. Vielfach hat man sich mit der Situation arrangiert und die Arbeit kann – bzw. muss – weitergehen. Für uns als Dienstleister:innen bedeutet das „New Normal“ jedoch aus meiner Sicht, dass wir sehr viel Flexibilität und Geduld zeigen und bei Kundenberatung und Vorbereitung eines Events deutlich mehr Zeit investieren müssen als zuvor. Wir müssen Multi-Service-Provider werden.

Karin, wie viele internetfähige Geräte besitzt du und welches Gerät hast du in der Zeit von COVID-19 am meisten zu schätzen gelernt?

Ich habe mir seit Beginn der Corona-Krise keine neuen Geräte zugelegt; die Ausstattung mit MacBook, iPad und iMac reicht weiterhin aus. Ich habe mir allerdings ein langes Ethernetkabel samt Adapter besorgt und mein mehrere Jahre altes Headset durch ein Profi-Gerät ersetzt. Viel mehr Zeit als sonst habe ich allerdings mit meinem großen iMac am Schreibtisch verbracht – mein zweites Standbein, schriftliche Übersetzungen, hat mich über die Saure-Gurken-Zeit gerettet.

Warum wolltest du gerne das Technikreferat der AIIC übernehmen und was habt ihr vor?

KW: Alex und ich haben die Zeit seit März gemeinsam mit unseren Kolleg:innen im KDD-Netzwerk unter anderem damit verbracht, uns die verfügbaren Lösungen für Remote Simultaneous Interpreting genauer anzusehen. Damit wollten wir einerseits die Spreu vom Weizen trennen und andererseits kompetent beraten können, sobald wieder Dolmetsch-Anfragen kommen. Gleichzeitig gab es unzählige Webinare zu dem Thema sowie virtuelle Kollegentreffs, bei denen deutlich wurde, dass nicht jeder so technikaffin ist bzw. sein möchte, wie es derzeit notwendig ist, um unsere Arbeit in den nächsten Monaten gut und sicher zu machen. Auch die AIIC-Region Deutschland hat erkannt, dass eine Anlaufstelle für die deutschen Kolleg:innen in Sachen Technik fehlt. Aufgrund der Recherchen und Erfahrungen der vergangenen Monate fühlen wir uns in der Lage, diese Aufgabe zu erfüllen.

Wir möchten eingehende Anfragen so kompetent wie möglich beantworten, die Kolleg:innen vernetzen, das vorhandene Wissen teilen und aktuelle Entwicklungen auf dem Markt für RSI beobachten. Schließlich möchten wir einen Beitrag dazu leisten, die Arbeiten auf Ebene der AIIC International – unseres „Mutterverbandes“ – in die Region Deutschland zu tragen.

Warum ist technische Expertise wichtig für Konferenzdolmetscherinnen und -dolmetscher?

KW: Man kann seine Arbeit als Konferenzdolmetscher:in sicherlich auch ohne ausgeprägtes technisches Wissen gut machen. Schließlich ist Dolmetschen unsere Kernkompetenz – man muss nicht zwingend über Audiodatenkompression, Codecs oder Frequenzgänge referieren können. Allerdings benötigen wir für unsere Arbeit einen optimalen Ton, „New Normal“ hin oder her. Diesen zu erzeugen ist bei Präsenzveranstaltungen schon keine triviale Angelegenheit und bei RSI erst recht nicht. Wir verlassen uns hierfür auf eine gute technische Infrastruktur bzw. Expert:innen, die wissen, was sie tun. Wenn man als (beratender) Dolmetscher einen Überblick darüber hat, was hinter „gutem Ton“ steckt – und einigermaßen auf Augenhöhe mit Fachleuten und Auftraggeber:innen sprechen kann – kann das nur von Vorteil für alle Beteiligten sein.

Was glaubst du: Werden irgendwann alle Menschen den Babelfisch* benutzen?

KW: Das ist wohl eine Anspielung auf den AI-Dolmetscher oder Dolmetsch-Roboter oder wie man ihn auch nennen mag. Ganz ehrlich? Ich glaube nicht, dass ich das noch erleben werde. Im Bereich Übersetzung hat die sogenannte „Machine Translation“ Jahrzehnte gebraucht, bis sie einigermaßen marktfähig war – und leistet bis heute bei nicht wenigen Textsorten überraschend suboptimale Arbeit. In den wenigsten Fällen muss da kein denkender Humanübersetzer mehr ran. Übertragen wir das Prinzip Automatisierung auf die gesprochene Sprache, müsste ein „maschineller Dolmetscher“ in der Lage sein, Mimik, Gestik, Emotionen, Humor, Ironie, Sarkasmus, nichtmuttersprachliche bzw. fehlerhafte Sprache und nicht zuletzt auch ganz viel Unausgesprochenes verarbeiten können, um ein gleichermaßen brauchbares Ergebnis zu liefern. Auf eine solche Lösung dürfte die Welt noch lange warten.

Darüber hinaus merken wir in unserer Arbeit immer wieder, dass unsere Zuhörer bzw. Kunden es sehr schätzen, mit empathiefähigen, sympathischen Dolmetscher:innen zusammenzuarbeiten. Wir sind Kommunikator:innen im umfassenden Sinne und sorgen dafür, dass sich Menschen auch bei komplexesten Sachverhalten verstehen. Kann das eine Roboterstimme aus dem Off leisten?

 

* Ein fiktives Lebewesen aus dem Roman „Per Anhalter durch die Galaxis“ von Douglas Adams, das sich ins Ohr einführen lässt und dem Träger ein Verständnis aller gesprochenen Sprachen ermöglicht.

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