Alexander Gansmeier ist einer unserer beiden Kollegen von Konferenzdolmetscher Deutschland am Standort München und ein Technik-Fan. Neben seinem Podcast-Projekt „The Troublesome Terps“ war er ein Early Adopter des Ferndolmetschens und der dazugehörigen Technologie. Während mit dem Beginn der Corona-Pandemie und dem Social Distancing so manche in Schockstarre gefallen sind, war Alexander immer ganz vorne mit dabei, um neue Kommunikationswege für internationale Veranstaltungen zu finden, Plattformen wie Zoom, Teams, Kudo usw. auf Dolmetschtauglichkeit zu testen und seine eigenen „Best Practices“ zu entwickeln.
Alexander, von dir stammen diese tollen, praktischen und schön visualisierten Tipps dafür, wie in Zeiten von Covid-19 Dolmetschen „aus der Ferne“ gelingen kann. Wie bist du darauf gekommen und warum teilst du dein Wissen so freigebig?
ACG: Ich war schon immer ein Fan der Schwarmintelligenz, weil jede*r von uns etwas weiß oder kann, was anderen fehlt. Vor allem aber in Zeiten wie diesen ist es umso wichtiger, sich mit allen Kolleg*innen zu solidarisieren und Wissen und Erfahrungswerte zu teilen. Nicht jede*r hat zwischen Homeschooling und Kinderbetreuung Zeit, sich um noch ein Zoom-Webinar oder noch einen Plattform-Test für Remote Simultaneous Interpreting (RSI) zu kümmern. Da sollten diejenigen von uns, die die Zeit haben, dann ihr Wissen auch ganz unkompliziert teilen. Schließlich hilft besseres Know-How und bessere Kundenberatung uns allen, unseren Kund*innen und dem Dolmetschmarkt insgesamt!
Was sind aus deiner Erfahrung der vergangenen Wochen die größten Herausforderungen für die Nutzer von Dolmetschleistungen, d. h. Veranstalter mehrsprachiger Formate?
ACG: Für Kund*innen kann es oft eine Herausforderung sein, alle Meeting-Teilnehmer*innen für das neue technische Umfeld zu sensibilisieren. Hier haben sich die von uns entwickelten „Dos und Don’ts“ für Web- und Telekonferenzen etabliert, da man hier eine Art Checkliste für den Vorlauf der Konferenz hat und so den Teilnehmer*innen beispielsweise vermitteln kann, dass ein Headset ein absolutes Muss ist, oder dass man bei neuen Meeting-Plattformen vor dem eigentlichen Meeting einen Testlauf machen sollte, damit jede*r Redner*in weiß, wo wann wie geklickt werden muss. Wie so oft im Leben sind es nämlich meistens eigenverschuldete Bedienfehler, die ein Meeting etwas chaotisch werden lassen können.
Was sind die Klippen für die Dolmetscher?
ACG: Dolmetscher*innen haben nach meiner Erfahrung meistens zwei Probleme: Erstens ist der Faktor „Techno-Stress“, also die zusätzliche Konzentrationsbelastung durch technische Komponenten, enorm erhöht. Vom Chat oder einem Video-Call mit dem Dolmetschkollegen über einen separaten Chat zum Kunden und noch einen mit dem Techniker, die Bedienung der Soft-Konsole, den Audio-Einstellungen am eigenen Computer bis hin zum „normalen“ Nachschlagen in Online-Wörterbüchern oder Glossaren, das Mitblättern der Präsentation etc. Hier ist es wichtig, ein für sich gut funktionierendes Arbeitskonzept zu finden und alle potentiellen Ablenkungen und Stressfaktoren zu finden und zu minimieren.
Das zweite große Problem für die Dolmetscher*innen ist – wie oben erwähnt – die Soundqualität der Meeting-Teilnehmer*innen. Hier lässt sich leider wenig eigenständig ändern, es kommt vor allem auf die Sensibilisierung der Kund*innen im Vorfeld an, damit alle Teilnehmer*innen entsprechend ausgestattet sind.
Hast du ein Beispiel für eine besonders gelungene Lösung beim Remote-Dolmetschen?
ACG: Für den Aufsichtsrat eines Kunden sind wir immer aus einem Dolmetsch-Hub hier in München im Einsatz, also einem von einem professionellen Technikanbieter betreuten Setup mit klassischer, fest installierter Dolmetschtechnik. Hier funktioniert das Arbeiten wirklich perfekt, auch bei komplexeren Meetings, mit Präsentations- und Videoübertragungen, da hier die Dolmetscher*innen besser zusammenarbeiten können als getrennt aus den diversen Heimbüros.
Ähnlich gut funktionierte RSI letztens bei einem Einsatz via Zoom, den ich mit der Kollegin zusammen aus ihrem Home Office gedolmetscht habe. Da wir auch hier gemeinsam (mit ausreichend social distance) im gleichen Raum waren, lief die Zusammenarbeit problemlos, und wir konnten beispielsweise einen nahtlosen Dolmetscher-Wechsel arrangieren, ganz ohne irgendwelche Video-Calls und Chat-Nachrichten.
Was tust du in Covid-19-Zeiten, wenn du gerade nicht dolmetschst?
ACG: Besonders am Anfang der Corona-Zeit habe ich viele Stunden in Webinare und das Testen von RSI-Plattformen gesteckt, um so schnell wie möglich meine Kund*innen passend beraten zu können. Ansonsten bin ich mittlerweile – wie so viele andere auch – (semi-)passionierter Läufer geworden und habe mich jetzt sogar für einen „virtuellen Lauf“ angemeldet, mitsamt „Mitläufern“, Medaillen, etc. Last but not least nutze ich die freien Abende auch gerne für ausgiebige Koch-Sessions oder lese wieder mehr italienische Bücher, für was mir sonst oft die Zeit und Nerven fehlen.
Wie glaubst du, wird das „New Normal“ in der Welt der internationalen Kommunikation aussehen?
ACG: Ich denke – wie viele Andere auch – dass RSI auch in Zukunft ein Teil des Dolmetschmarktes sein wird, wobei ich absolut nicht glaube, dass es einen dominanten Marktanteil haben wird. Alle Kund*innen, die aktuell mit RSI-Lösungen arbeiten, betonen jedes Mal mehrmals, dass sie sich sehr auf die nächste Sitzung vor Ort freuen. Als Menschen (und Kommunikationsprofis) brauchen und wollen wir die persönliche Kommunikation und den Umgang mit anderen Leuten, das lässt sich via MS Teams nicht wirklich replizieren. Und ganz ehrlich: Wer sitzt denn länger als 2-3 Stunden konzentriert vor dem Laptop und nimmt an einem Meeting teil?
Was würdest du dir für das nächste halbe Jahr wünschen, wenn du einen Wunsch freihättest?
ACG: Außer einem Corona-Impfstoff? Da fällt mir tatsächlich nicht so viel ein, aber wenn wir beim Thema Online-Meetings bleiben, gibt es natürlich Bedarf an einem automatisch in Laptops verbauten Webcall-Headset, damit jede*r Kund*in perfekt ausgestattet ist. 😉
Vielen Dank für das Gespräch.